Ralswiek – slawischer Name für „Ort auf dem Kiesstrand“

Ralswiek – slawischer Name für „Ort auf dem Kiesstrand“

 

Ralswiek inmitten der Insel Rügen hatte zwei große Vorteile. Erstens lag es an der Route Nordsee-Hedeby/Haithabu-Oderhaff bzw. Baltikum. Die im 8./9. Jahrhundert dominierende Küstenschifffahrt in der Ostsee konnte den Ort Ralswiek ohne Gefahr anlaufen und sich inmitten der Insel sicher fühlen. Zweitens die gefährliche Umfahrt um das Kap Arkona wurde vermieden. Über ruhiges Gewässer gelangte man durch Rügen und verließ es wieder im Südosten, Nordosten oder Nordwesten. Diese günstige Lage des Ortes veranlasste in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts Seefahrer/Abenteurer aus Skandinavien im Zusammengang mit den Rügenslawen und deren Aristokratie eine Siedlung zu gründen.

Ralswiek entstand etwa 7 km nördlich vor der Hauptburg der Rügenslawen. Nach den bisher bekannten Daten wurde die Siedlung im letzten Drittel des 8. Jahrhunderts zwischen dem großen Jasmunder Bodden und einem bereits teilweise verlandeten Brackwassersee gegründet. Die Struktur der Siedlung bestimmten Hofverbände. Ein Herrenhaus domierte jeweils, um dieses lagen Wohn-und Werkstätten von Abhängigen. Die Hofverbände verfügten über Schiffseinfahrten. 15 bis 17 Schiffseinfahrten konnten nachgewiesen werden. Eine Schiffseinfahrt konnte jeweils ein bis zwei Ostseeschiffe der damaligen Zeit aufnehmen. Einige Molen bzw. Einfahrten waren überdacht und boten somit eine winterfeste Abstellmöglichkeit, ähnlich skandinavischen Bootshäusern. In den einzelnen Hofverbänden gab es Schmieden, Werkstätten für Bronze-, Knochen-und Geweihverarbeitung sowie Webereieinrichtungen. Rohmaterialien aus Thüringen wurden ebenso verarbeitet und genutzt wie Speckstein aus Norwegen. Zu den bedeutendsten Funden gehören über 2200 Sibermünzen bzw. Münzbruchstücke mit einem Gesamtgewicht von über 2700 g, die auf Handelsverbindungen mit dem arabisch-zentralasiatischen Gebiet zurückgehen. Die Schlussmünze wurde 844 geprägt und gelangte prägefrisch nach Ralswiek. Der Wert zur damaligen Zeit entsprach in etwa 15 Sklaven oder 20 Pferden oder 30 Ochsen oder 150 bis 200 Schafen. Die Siedlung Ralswiek verfügte bereits zur Gründungszeit über eine Kultstätte. Diese wurde im Laufe des 9./10. Jahrhunderts tempelartig ausgebaut. Tier-und Menschenopfer gehörten zum Ritual. Neben der Siedlung wurden vier Schiffe freigelegt. Wobei das älteste in das 9./10. Jahrhundert datiert wurde und die übrigen drei in die Zeit um das Jahr 1000. Die vornehmen Toten wurden am Hochufer über dem Jasmunder Bodden in über 400 Grabhügeln bestattet. Dabei handelte es sich überwiegend um Brandbestattungen. Die gefundene Keramik war slawischer Herkunft. Die Grabbeigaben waren durch die Brandbestattung stark deformiert. Unter den Resten fanden sich Goldbeschläge einer kleinen Schmuckkassette, von Waffen, Messern etc..

Über die Asche eines Toten waren die Planken eines Schiffes gelegt worden. Die Planken entstammen einem Boot welches in der in Skandinavien üblichen Bauweise gefertigt war (Verwendung von hunderten Eisennieten, wogegen im slawischen Bau überwiegend Holzstifte zur Anwendung kamen). Durch diesen Fund ist davon auszugehen, dass in Ralswiek neben den Slawen auch eine größere Anzahl von Hofverbandseignern und Seefahrern aus Skandinavien ansässig waren. In Ralswiek sind anhand von Funden folgende skandinavischen Gruppen repräsentiert: Schonen, Mittelschweden, Gotland, und Oslo-Fjord. Die Verständigung zwischen den unterschiedlichen Gruppen erfolgte mit großer Wahrscheinlichkeit zweisprachig.

 

In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts und im 10. Jahrhundert setzten neue siedlungsgeschichtliche und staatliche Entwicklungen ein. Das mittelalterliche Städtewesen im Rahmen der mittelalterlichen Fürstentümer und Königreiche begann sich in Mittel-, Nord und Osteuropa herauszubilden. Die Tonnagen der Handelsschiffe und deren Navigationsmöglichkeiten stiegen bedeutend an. Damit verloren am flachen Wasser gegründete Seehandelsplätze in geschützter Lage im Binnenland, wie Ralswiek an Bedeutung. Zur Jahrtausendwende wurde dieser Seehandelsplatz aus den oben genannten Gründen bedeutungslos.

 

Quelle: Europas Mitte um 1000 vom Theiss Verlag